Nie zuvor gab es in Deutschland einen so heterogenen Bestattungsmarkt wie heute. Wer die Einflussfaktoren kennt und wagt, neue Wege zu gehen, entdeckt Chancen. Konkurrenz- und Preisdruck, steigende Bestattungs- und Friedhofsgebühren, ein multimediales Informationsangebot, der Bedeutungsverlust des religiösen Totenbrauchtums und die Hinwendung zu weltlichen und preisgünstigen Bestattungsarten – all dies sind Faktoren des rasanten Umbruchs, der Bestatter und Zulieferer zunehmend unter Druck setzt. „Der Verkauf von Beerdigungen ist deutlich kommerzieller und zunehmend gewinnorientiert geworden“, fasst der Soziologe Akyel vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung die Entwicklung der vergangenen Jahre zusammen.
„Während sich die Produktwahl im Rahmen der Bestattung jahrzehntelang an sozialen Erwartungen und religiösen Erfordernissen orientierte, stehen inzwischen persönliche, pragmatische und ökonomische Entscheidungskriterien im Vordergrund“, schreibt Akyel, der sich in seinem Buch Die Ökonomisierung der Pietät mit dem Wandel des Bestattungsmarkts in Deutschland auseinandersetzt.
Bestattungsarten: neue Prioritäten
Der Nährboden für diese Entwicklung: Immer mehr Menschen fallen buchstäblich vom Glauben ab, Religion verliert an Bedeutung. Wo Sitten, Gebräuche und Traditionen nicht mehr zählen, ersetzt die Individualisierung der Zeremonie den traditionellen Ablauf einer Trauerfeier. Einen verbindlichen, gesellschaftlich vorgegebenen Kodex gibt es schon lange nicht mehr. „Ob bei den Berufsmöglichkeiten, dem Wohnsitz oder der Partnerwahl, heutzutage hat die Gesellschaft so viele Möglichkeiten und muss immens viele Entscheidungen treffen; so auch bei der Bestattung“, sagt Reinhard Vahle, Geschäftsführer von Vahle Trauerwaren und stellvertretender Vorsitzender des VDZB: „Neben der Erd- und der Feuerbestattung kommen Optionen wie die Baumbestattung, Diamantbestattung, Luft-, Natur-, See-, Wald-, Weltraumbestattung etc. hinzu“, ergänzt Vahle. Ein weiterer Treiber des Wandels sei laut Dominic Akyel die Möglichkeit, privatwirtschaftliche Krematorien und Bestattungsplätze zu errichten sowie die Reformierung der Bestattungsgesetze in vielen Bundesländern: „Der Sargzwang wurde gelockert und die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine Privatisierung von Verbrennungs- und Beisetzungsstätten geschaffen“, so der Soziologe. Bereits jetzt sind über 50 Prozent der Bestattungen Feuerbestattungen – die Tendenz steigt vor allem in Großstädten, deren Bewohner zunehmend auf schlichte Begräbnisformen ohne aufwändige Grabpflege setzen. Auch die wachsende Beliebtheit der Baumbestattung – 2013 entschieden sich in Deutschland allein rund 8.000 Menschen für eine Baumbestattung – bestätigt diesen Trend. Spätestens seit dem Wegfall des Sterbegeldes ist der finanzielle Spielraum für Bestattungen bei vielen Bürgern begrenzt; acht bis zehn Prozent aller Bestattungen sind heutzutage Sozialbestattungen. Die Entscheidung für eine Einäscherung und Beisetzung im privaten familiären Rahmen ist also nicht nur einem vermeintlichen Werteverfall, sondern oft wirtschaftlicher Not geschuldet. Die Folge: Immer mehr Friedhöfe klagen über Leerflächen, erhöhen die Friedhofsgebühren und geraten so in einen Teufelskreis aus sinkender Nachfrage und weiteren Abwanderungen.
Flexiblere Friedhöfe
Zunächst führen die Veränderungen jedoch dazu, dass sich Friedhöfe wandeln: Urnenwände, Kolumbarien, Themengrabfelder oder Ruhegärten entstehen. Ein auffälliges Merkmal ist die Zunahme von Gemeinschaftsgräbern. Aber auch eine Konzentration auf bestimmte Bestattungsarten wie die Baumbestattung ist erkennbar. „Allein die Feuerbestattung ermöglicht unzählige individuelle Bestattungsmöglichkeiten, für die es natürlich auch die passenden Friedhöfe geben muss“, so Reinhard Vahle, der an die Flexibilität von Friedhofsbetreibern und an eine stärkere Kommunikation und Kooperation zwischen Städten und Bestattern appelliert. „Den Bestattern müssten Anreize geboten werden, die Kunden wieder zu den Friedhöfen zu bringen, etwa durch eine bessere Infrastruktur oder auch Gutschriften für vermittelte Gräber“, so die Idee von Klaus Wagner, Inhaber des Bestattungsunternehmens Wagner & Loew im Rheinland-Pfälzischen Bitburg. Die Friedhofskultur wiederzubeleben, hat sich unter anderem der Steinmetz Alexander Hanel zum Ziel gesetzt, der mit dem Friedhofskulturkongress eine Dialogplattform etablieren und alle Beteiligten rund um den Friedhof vernetzen will. Das Netzwerken ist auch ein Leitgedanke von Dipl.-Kaufmann Jürgen Rippel von der Hochschule Ansbach, der sich im Rahmen der Studie „Friedhof der Zukunft“ mit unterschiedlichen Akteuren und ihrem Zusammenspiel auseinandergesetzt hat. Auch er spricht sich für eine Kooperation zwischen Friedhofsverwaltungen und Bestattern aus – im Sinne einer Wiedereingliederung des Friedhofs und des Trauerns in die Gesellschaft, die allen Beteiligten zu Gute käme: „Der Friedhof der Zukunft kann ein Ort der Kommunikation werden, den ich gerne aufsuche, an dem ich mich in Achtsamkeit und mit Wertschätzung meiner Wurzeln besinne, an dem ich auftanken kann“, so Rippels Vision. Eine Wiederentdeckung des Friedhofs und der Trauerkultur, einer Rückbesinnung zu Traditionen und der eigenen Herkunft? Auch dies könnte eine Marketing-Idee sein, die der Sehnsucht vieler Menschen nach Werten und Halt in einer zunehmend orientierungslosen Welt entspricht – losgelöst von religiösen Ritualen, hin zu individuellen Grabstätten mit Bezug zum Verstorbenen. In diesem Zusammenhang fühlt sich auch Steinmetz Alexander Hanel immer mehr als Berater, der Hinterbliebene über unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten und Pflegekonzepte von Grabstätten informiert. Diese „Aufklärungsarbeit“ ist immer auch disziplinenübergreifend, denn die Sensibilisierung für eine würdige Bestattung bezieht oftmals auch die Zeremonie mit ein, in deren Mittelpunkt der Sarg steht. Die größte Herausforderung sieht Reinhard Vahle in pflegeleichten Gräbern. Denn oft leben die Hinterbliebenen nicht am selben Ort wie der Verstorbene und verfügen nicht über ausreichende Möglichkeiten oder finanziellen Mittel zur aufwändigen Grabpflege. Zudem werden im Zuge des demografischen Wandels immer mehr Verstorbene gar keine Hinterbliebenen hinterlassen.
Sparen um jeden Preis?
Die Folgen des Sparverhaltens – sei es aus der Not geboren oder der Konsumkultur entsprungen, bekommen inzwischen sämtliche Bereiche der Bestattungsindustrie zu spüren. Begünstigt wird es durch ein wachsendes Angebot an Produkten und Dienstleistungen im Internet: „Während die aktive Suche nach Informationen in der Vergangenheit unüblich war und als pietätlos galt, stieg in den letzten Jahren die Bereitschaft, selbsttätig Produkt-, Preis- und Anbietervergleiche anzustellen“, stellte Dominic Akyel in seinen Forschungen fest. „Gleichzeitig entstand ein Bedürfnis nach größerer Kostentransparenz, was sich vor allem in der Forderung nach Kostenvoranschlägen verdeutlicht.“ So haben sich inzwischen auch in der Bestattungsbranche Online-Vergleichs-Portale erfolgreich etabliert. Die einschlägigen Plattformen erfreuen sich bei Kunden wachsender Beliebtheit, werben mit Dumping-Preisen und rekrutieren immer mehr Bestatter als Partner, die sich zwar den Kampf um den Kunden sparen, jedoch dem Preisdiktat unterworfen sind und nicht selten noch saftige Provisionen zahlen dürfen. Von den hohen Gewinnmargen profitieren am Ende die Portalbetreiber. Dennoch: Eine Emnid-Umfrage des Bundesverbands Deutscher Bestatter (BDB) aus dem Jahr 2011 zeigte, dass bereits 22 Prozent der Befragten das Internet zu Rate ziehen würden, um bei einem Todesfall einen Bestatter auszuwählen. Dieser Anteil dürfte mittlerweile gestiegen sein. Der Erfolg der Vergleichsportale beruht nicht zuletzt auf der Intransparenz in der Bestattungs- und Zulieferbranche: Hier unterliegt die Preisgestaltung noch immer größtenteils dem Siegel der Verschwiegenheit – eine Haltung, die es aus den genannten Gründen zu überdenken gilt.
Rückbesinnung zum Sargverkauf
In Folge dieser Entwicklung suchen immer mehr Bestattungsunternehmen nach zusätzlichen Kompetenzen und Wettbewerbsvorteilen und entwickeln sich zu trauerpsychologisch geschulten Allround-Dienstleistern. Stand ehemals beim Verkauf einer Beerdigung der Sargverkauf im Vordergrund, so ist es jetzt die Beratung von der Bestattungsvorsorge bis zur Trauerbegleitung – früher fast ein Monopol der Kirche. Eindeutig zu den Verlierern dieser Entwicklung zählen jedoch die Sarg- und Bestattungswäscheindustrie, die mit sinkenden Qualitätsansprüchen und Preisverfall zu kämpfen haben. „Während der Bestatter viele verschiedene Möglichkeiten hat, sich dem Markt anzupassen, wird dem Sarghersteller früher oder später nichts anderes übrig bleiben als seinen Betrieb zu verkleinern oder ganz zu schließen“, so Reinhard Vahle. „Es sei denn, Bestatter und Zulieferer arbeiten künftig stärker Hand in Hand“, meint Reinhard Vahle. Er führt den Rückgang der Nachfrage nach hochwertigen in Deutschland hergestellten Särgen vor allem auf die preisgünstigen Importe aus Osteuropa zurück. Bei der Bestattungswäsche kommt noch China als Lieferant hinzu. In Deutschland könne man diesen Anbietern nicht die Stirn bieten, wolle man weiterhin mit hoher Qualität überzeugen und vernünftige Löhne zahlen. Die Stärke deutscher Hersteller liege jedoch im Service, in der Individualität und der Verbindlichkeit. „Glauben Sie nur nicht, dass Ihnen Ihr moldawischer Sarglieferant aus Tiraspol, Transnistrien von heute auf morgen einen Sarg in Kindergröße oder Überbreite bringt“, provoziert Reinhard Vahle. Wenn der Bestatter die Beziehung zu seinem deutschen Lieferanten nicht pflege und am Leben halte, gebe es nach seiner Ansicht hierzulande bald nur noch kleine exklusive Manufakturen und die Bestatter säßen bei den meisten Bestellungen, die über „08/15“-Särge hinausgehen, schnell auf dem Trockenen. Möglicherweise müssten Bestatter wieder stärker für den aktiven Verkauf hochwertiger Särge sensibilisiert werden, so Vahle, der in diesem Zusammenhang die Relevanz von Verkaufstrainings betont und an ein stärkeres Miteinander der Verbände appelliert. Auch in puncto Marketing, denn letztendlich müsse die Nachfrage nach hochwertigen Särgen beim Endkunden generiert werden.
Wer kommuniziert, führt
Zeitnah und flexibel auf individuelle Wünsche eingehen zu können, ist im zunehmend heterogenen Bestattungsmarkt ebenso für Zulieferer wie für Bestatter ein Wettbewerbsvorteil: „Viele Bestattungsunternehmen haben sich während der letzten Jahre stärker auf bestimmte Kundengruppen spezialisiert, ihr Angebot ausgeweitet und ihr Marketing professionalisiert“, stellt Akyel fest. Dies sei nicht zuletzt auf die schwindende Kundenbindung und -loyalität zurückzuführen. Die neuen Formen des Bestattermarketings und die verstärkte mediale Berichterstattung führen zu einem Zuwachs an Verbraucherinformationen, denen viele Unternehmen hilflos gegenüber stehen. Der Bestatter Klaus Wagner entdeckt in der neuen Kommunikations- und Dialogbereitschaft vor allem Chancen: „Ich muss auf Kundenwünsche eingehen können sie aber auch vernünftig beraten können. Abläufe muss ich transparent machen, damit die Kunden auch verstehen, warum sie für eine Dienstleistung etwas bezahlen.“ Nach langer Zeit in einem konventionellen Beerdigungsinstitut hatte sich Wagner vor fünf Jahren mit einem jüngeren, eigens ausgebildeten Geschäftspartner selbständig gemacht, um neue Wege zu beschreiten. „Todesmutig haben wir beschlossen: Wir machen alles anders!“ erzählt Klaus Wagner. „Transparenz hieß für uns auch offene Schaufenster mit einer modernen Warenpräsentation. Wir stellten neue und innovative Särge und Urnen vor und setzten vor allem auf Werbung, Werbung und nochmals Werbung“, berichtet der überzeugte Netzwerker Wagner, der anfänglich eine Werbeagentur konsultierte und inzwischen sein gesamtes Marketing in Eigenregie durchführt. Dazu zählt auch eine rege Aktivität in den sozialen Netzwerken XING, werkenntwen.de, Facebook und Twitter und die Öffnung der Geschäftsräume für Kunstausstellungen und Veranstaltungen, beispielsweise zum Erbrecht. „Wir haben uns getraut, als neu gegründetes Unternehmen richtig viel Geld für das Marketing in die Hand zu nehmen und wurden dabei sogar problemlos von unserer Bank unterstützt.“ Der Erfolg: Bereits im ersten Geschäftsjahr erreichte das Unternehmen Zahlen, die im Businessplan erst für das dritte Jahr angepeilt waren.
Online-Erfolg ist kein Großstadt-Phänomen
Der Erfolg seines Kommunikationskonzepts sei umso erstaunlicher, da die Offenheit für Social Media und Internet gerne ausschließlich urbanen Regionen zugeschrieben werde. „Bei uns auf dem platten Land sind die Menschen jedoch eigentlich eher konservativ“, so Wagner. Daher sollten eine informative Website und vor allem die Kommunikation per E-Mail für alle Bestatter die virtuelle Mindestanforderung sein. Für ihn selbst geht längst nichts mehr ohne soziale Netzwerke. Auch der Händler für Bestatterbedarf Reinhard Vahle ist aufgeschlossen für neue Medien: Er aktualisiert regelmäßig seine facebook-Seite, ist auf twitter und google+ aktiv und hat 2013 gemeinsam mit ortsansässigen Gärtnern und Steinmetzen eine neue LED-Wand mit 18qm Videofläche in Paderborn bespielt, 100 Mal jeweils eine Minute lang, unter einem Thema, das alle verbindet: „Abschied gestalten“. Laut Vahle eine perfekte Zusammenarbeit unterschiedlicher Gewerke rund um die Bestattung – und ein Modell, das auch bundesweit realisierbar wäre.
Ein Blick in die Zukunft
Ein wirkungsvolles Marketing, das die Begräbniskultur wieder ins Rampenlicht rückt, ist im Sinne aller an einer Bestattung Beteiligten – vom Zulieferer über den Bestatter, von der Friedhofsgärtnerei bis zur Kommune. Diese Bündnisse könnten lokal geschlossen oder zentral durch eine stärkere Kooperation der Verbände gefördert werden. Die Basis für eine erfolgreiche Positionierung am Markt – und das gilt sowohl für Bestatter als auch für Zulieferer, ist eine transparente Kommunikation mit dem informierten und anspruchsvollen Endverbraucher, der zunehmend individuelle Leistungen und Produkte erwartet. Dass er zudem auch preissensibel ist, erfordert neue Konzepte für Friedhöfe, Gräber und Bestattungskultur. „Die Kunden werden sich aufteilen in die, die nichts ausgeben und anonym bestattet werden möchten und die, die besondere Leistungen erwarten und auch bereit sind, dafür etwa zu bezahlen. Die traditionelle Bestattung mit mehr oder weniger einheitlichem Ablauf wird seltener werden, pflegefreie Grabstellen gewinnen an Bedeutung“, wagt Bestatter Klaus Wagner einen Blick in die Zukunft, und Dominic Akyel prognostiziert: „Ich vermute, dass sich die großen Trends im Bestattungsmarkt – Kommerzialisierung, Discountisierung und Liberalisierung – in den nächsten Jahren weiter fortsetzen werden. In kultureller Hinsicht wird die traditionale christliche Bestattungskultur weiter zugunsten einer stärker individualistischen und pluralistischen Totenliturgie an Bedeutung verlieren.“ Der VdZB setzt sich unter anderem mit der Kampagne „Abschied nehmen“ dafür ein, dass die Trauerfeier am Sarg in diesem Zusammenhang auch überkonfessionell wieder an Bedeutung gewinnt und unterstützt Bestatter bei der Beratung von Hinterbliebenen. Den Wandel können weder Bestatter noch Zulieferer aufhalten; doch ihn aktiv und in ihrem Sinne mitzugestalten, das wird die Herausforderung der Zukunft sein.