
Prof. Dr. phil. habil. Katrin Döveling ist Professorin für Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, erforscht Emotionen in den digitalen Medien und hat sich unter anderem auf die Erforschung von Trauer in sozialen Netzwerken spezialisiert.
Wie lässt sich das Phänomen der Trauer um einen Menschen erklären, den man nicht persönlich kannte, wie z.B. einen Schauspieler oder Rockstar?
Durch die Medien und vor allem soziale Netzwerke können wir das Leben vieler Persönlichkeiten auch aus der Distanz verfolgen oder ihnen sogar durch Kommentare oder im Chat näherkommen. So haben viele Fans das Gefühl, eine bestimmte Person zu kennen. Medien vermitteln eine Nähe aus der Distanz, wir vergessen, dass wir sie eigentlich gar nicht kennen, wir vergessen den Bildschirm, die Evolution wird insofern überlistet. Und wenn jemand dann von uns geht, den wir tagtäglich in den Medien erlebt und mit ihm gefühlt haben, dann kann eine „kollektive Gefühlsarbeit“ in den Social Media zu einer Linderung der eigenen Trauer beitragen, denn durch das verbindende Gefühl der Betroffenheit in der Gemeinschaft wird jeder aufgenommen. Das wiederum festigt durch das Wachhalten der Erinnerung an den Schauspieler oder Star die Fan-Beziehung.
Welche Rolle spielt die Gemeinschaft und Verbindung mit Gleichgesinnten bei der Trauerbewältigung?
Bei einem Trauerfall im privaten Umfeld ziehen sich Menschen oft zurück. Bei Terroranschlägen oder beim Tod eines Prominenten, suchen sie jedoch die Gemeinschaft von Gleichgesinnten und ähnlich Fühlenden, in der sie eher verstanden werden als von ihrer Familie, die diese Art von Trauer nicht immer nachvollziehen kann. Bei diesen digitalen Emotionskulturen geht es nicht um Trauerbewältigung, sondern um eine Art Katharsis. Die Verbundenheit wird durch entsprechende Hashtags signalisiert. Auch der Kommentar „RIP“, Rest in Peace, ist ein Symbol der Vergemeinschaftung, einer gefühlten Zugehörigkeit
Welche Trauerhandlungen sind üblich in den sozialen Netzwerken?
Pilgerte man früher zum Grab seines Rockstars, bieten Social Media heute zahlreiche Möglichkeiten der virtuellen Trauer- und Solidaritätsbekundung, beispielsweise sein Profilbild bei Facebook durch das Konterfei des Verstorbenen zu ersetzen, die Flagge eines von Terror oder Krieg betroffenen Landes über sein eigenes Profilbild zu legen oder einen Post mit einem entsprechenden Hashtag, wie „Je suis Charlie“ zu versehen. Der Vorteil: Die Trauergemeinschaft ist ubiquitär, also immer und überall auf dem Smartphone präsent. Anders ist es natürlich bei einem Verlust im direkten Freundes- oder Familienkreis, bei dem Rituale, die analoge Gemeinschaft und das Grab nach wie vor eine zentrale Rolle spielen.
Auf Facebook fällt auf, dass viele Menschen den Tod eines Rockstars mit einem schnell getippten „RIP“ oder mit einem weinenden Emoji kommentieren. Ist dies gewissermaßen die niedrigste Stufe der Anteilnahme und Trauerbekundung oder geht es hierbei im Allgemeinen eher um Selbstdarstellung?
Natürlich sind diese Beispiele in erster Linie Trauerbekundungen, die man nicht nur für sich setzt, sondern auch für Freunde, um zu signalisieren ‚Ich gehöre zu den Guten, ich erfülle eine Emotionsregel.‘ Es gibt jedoch genauso eine Tendenz zu ausführlicheren Posts und Anteilsbekundungen. Dies gilt länderübergreifend, wie ich in den Untersuchungen in den USA und Deutschland aufzeige.
Welche unterschiedlichen Reaktionen erfahren Menschen, die ihrer Trauer in den Social Media Ausdruck verleihen?
Das ist genauso unterschiedlich, wie das Trauerverhalten jedes einzelnen und hängt auch davon ab, ob es sich um einen persönlichen Verlust handelt wie etwa auf YoungWings, auf denen Jugendliche auf sich mitteilen, die einen Nahestehenden verloren haben oder es sich um die Trauer eines Fans um seinen Star handelt. Emotionen werden anerkannt und kommentiert. Der Trauernde erfährt Unterstützung in den sozialen Mediendurch regelmäßiges Teilen von gemeinsamen Erinnerungen, Gedanken oder Bildern des Verstorbenen.
Welche Formen der Online-Trauer halten Sie für sinnvoll im Sinne einer gesunden Trauerverarbeitung? Sind Trauernde durch die Verlagerung ins Virtuelle „gemeinsam einsam“?
Ich habe unterschiedliche Trauerportale untersucht. Was mich betroffen gemacht hat ist die Erkenntnis, dass Kinder in ihrer eigenen sozialen Umgebung oft keine Unterstützung erfahren Das eigene soziale Umfeld ist oft überfordert, und Eltern haben selbst mit dem Verlust zu kämpfen. Auf Trauerportalen für Kinder unterstützen sie sich gegenseitig so, dass es sogar einen Rollenwechsel vom ‚Taker‘ zum ‚Giver‘ gibt, sobald jemand neu ins Netzwerk kommt. Die Analysen von den Foren für Erwachsene zeigen: Erwachsene hingegen tauschen sich eher informativ aus und gehen pragmatischer vor.
Sie haben das Phänomen der Online-Trauer untersucht. Wie verhält sich die Kommunikation etwa nach Terroranschlägen?
Nach den Terroranschlägen in Paris (2015), Berlin (2016) und Manchester (2017) haben Nutzer weltweit auf Facebook und Twitter ihr Mitgefühl und ihre Solidarität ausgedrückt. Wenngleich Menschen mit größerer geografischer Nähe naturgemäß emotional stärker betroffen sind, findet der Tod unschuldiger Menschen auf der gesamten Welt Resonanz. Eines der Ziele von Terroranschlägen ist es ja, Angst zu verbreiten. Und in solchen Momenten sind wir wieder mit der Angst vor Anschlägen konfrontiert. Die Gemeinschaft in den sozialen Medien, die wir dann sehen, lindert diese, weil man das Gefühl hat, man ist doch in der globalisierten Emotion der Solidarität und Verbundenheit stärker.
In den Social Media werden Terroropfer oft unversehens zu Berühmtheiten …
Unter den Opfern des Anschlags in Manchester im Mai 2017 war die 8-jährige Saffie Rose Roussos das jüngste und wurde binnen Stunden nach dem Vorfall eine kleine Berühmtheit in den sozialen Medien. Auf der Mikroebene gab es die Familie, ihren persönlichen Verlust, online geteilte Emotionen und Unterstützung, was dazu beitrug, dass die Erinnerung an Saffie lebendig gehalten wurde. Später wurden eigene Gedenkstätten für Saffie auf Facebook, Instagram und Twitter eingerichtet, auf der Fotos, emotionale Botschaften und Erinnerungen geteilt wurden. Auf der Makroebene gibt es eine allmähliche Verschiebung vom persönlichen Verlust und dem Tod eines kleinen Mädchens zu dem, was er symbolisiert: Durch die Mediatisierung wird er ein Sinnbild des Terrors, verbindet sich automatisch mit politischen, sozialen und auch wirtschaftlichen Fragen und bekommt so eine globale Dimension.
Quellen:
Döveling, Katrin & Harju, Anu, Sommer, Denise (2018). From mediatized emotion to digital affect cultures: New technologies and global flows of emotion. Social Media and Society. http://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/2056305117743141
Döveling, Katrin , Giaxoglou, Korina (2018). Mediatization of emotion on social media: forms and norms. Special issue Social Media and Society. http://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/2056305117744393
Döveling, Katrin (2017). Online Emotion Regulation in Digitally Mediated Bereavement. Why Age and Kind of Loss Matter in Grieving Online, Journal of Broadcasting & Electronic Media, 61 (1), 41-57.
Giaxoglou, Korina, Döveling, Katrin & Pitsillides, Stacey (2017). Networked Emotions: Interdisciplinary Perspectives on Sharing Loss Online, Journal of Broadcasting & Electronic Media, 61 (1), 1-10.