
Interview mit Prof. Dr. Norbert Fischer
Der Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Norbert Fischer lehrt am Institut für Volkskunde/Kulturanthropologie an der Universität Hamburg. Seit Herbst 2018 hat er eine Gastprofessur am Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Tod, Trauer und Gedächtniskultur.
Früher ein Beruf mit überschaubaren Standardaufgaben, heute ein komplexer Dienstleistungsberuf. Wie kam es eigentlich dazu?
Der Wandel vom Handwerker zum Dienstleister begann in Deutschland im 19. Jahrhundert: Als immer mehr Friedhöfe außerhalb der Städte angelegt wurden, waren logistische Leistungen gefragt. Begünstigt wurde die Entwicklung des Berufszweigs durch die Gewerbefreiheit im deutschen Kaiserreich. Heute müssen Bestatterinnen und Bestatter weitaus mehr Bedürfnisse erfüllen, die bisher von gesellschaftlichen Institutionen wie der Kirche wahrgenommen wurden. Das beste Beispiel sind die Trauerreden, die beispielsweise in Hamburg großenteils nicht mehr von geistlichen, sondern privaten Trauerrednern oder Bestattern selbst gehalten werden. Ein architektonisches Symbol sind eigene Trauerkapellen in Bestattungsinstituten, Aufbahrungs- und Feierhallen als Alternative zu den oft von zweifelhaftem Charme geprägten städtischen Trauerhallen.
Wie sieht die Bestatterlandschaft heute aus? Dominieren Traditionalisten oder Revoluzzer?
Da gibt es sehr große Unterschiede zwischen Stadt und Land. Traditionelle Bestatter haben oft eine Monopolstellung in ländlichen Räumen und lassen kaum mit sich diskutieren, wenn es um die Abwandlung der traditionellen Trauerfeier geht. Auf der anderen Seite steht die wachsende Minderheit von Bestattern und immer mehr Bestatterinnen, die andere Wege gehen und sich für das ganze Spektrum der Möglichkeiten öffnen. Das bedeutet aber auch einen höheren Beratungsaufwand statt eines Rundum-sorglos-Pakets. Auf dieses Mitspracherecht und die Entscheidungsfreiheit der Hinterbliebenen müssen sich nicht nur die Bestatter einstellen, sondern auch die Hinterbliebenen selbst.
Werden Veränderungen eher von der Gesellschaft eingefordert oder von Bestattern selbst initiiert?
Es gibt unterschiedliche Einflussfaktoren, wie etwa die Markttransparenz, die Bestatter nicht ignorieren können. Durch das Internet haben Kunden die Möglichkeit zu vergleichen, sich über Särge, Urnen, Bestattungsmöglichkeiten und Grabformen zu informieren. Diese Vielfalt wird auch nachgefragt, zumindest im urbanen Umfeld. Die Bestattungskultur ist heute sehr vielfältig und von einer zunehmenden Individualisierung gekennzeichnet, nicht zuletzt durch die Einflüsse anderer Kulturen, die uns umgeben. So werden Veränderungen in der Bestattungskultur von Teilen der Gesellschaft eingefordert.
Wie zeigt sich die bestattungskulturelle Vielfalt auf dem Friedhof?
Nehmen wir den Olsdorfer Friedhof in Hamburg und den Zentralfriedhof in Wien: Auf beiden gibt es ein regelrechtes Patchwork kultureller und religiöser Bestattungsflächen. In Wien lassen die Buddhisten Trauertücher um die Gräber flattern. Das ist natürlich nicht überall möglich, aber Gräber werden bunter und individueller, die starren Regeln lockern sich allmählich. Außerhalb des Friedhofs wächst die Nachfrage nach naturnahen Bestattungen, wie Baum- oder Seebestattung; in einigen österreichischen Bundesländern die Fluss- oder Bergbestattung. Diese Entwicklung macht neue logistische und zeremonielle Abläufe erforderlich, die sich vor ca. 15 Jahren erst einspielen mussten: Wie bestattet man eigentlich im Wald? Welche Leistungen und Abläufe sind damit verbunden und wie schaffe ich einen feierlichen Rahmen?
Wie wichtig ist ein solcher Rahmen heute noch angesichts der wachsenden Nachfrage nach anonymen oder pflegefreien Gräbern?
Das gesellschaftliche Bedürfnis und der persönliche Wunsch nach einer qualitätsvollen Bestattung sind ungebrochen. Vor allem die Landbevölkerung ist meist konservativ und legt Wert auf eine traditionelle Beisetzung mit allem, was dazugehört. Die Frage, wie man etwa Luftballons dramaturgisch in die Trauerfeier einbaut, stellt sich hier gar nicht. Doch so langsam setzen sich alternative Beisetzungsformen wie die Baumbestattung auch auf Friedhöfen in kleineren Orten durch.
Ist auch der Trend der anonymen Bestattung, der oft als „Entsorgung“ bezeichnet wird, Teil einer neuen Bestattungskultur?
Die aktuellen Zahlen der Sozialamtsbestattungen für den Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg belegen einen deutlichen Anstieg solcher Formen der Bestattung. Insgesamt aber geht der im späten 20. Jahrhundert noch starke Trend zu Rasenbestattungen zurück. Auch istnicht immer ist Geld die Motivation für eine anonyme oder Pflegefreie Grabform. Hier haben wir es auch mit einem Aspekt der Individualisierung zu tun. Wer beispielsweise eine materialistische Einstellung hat und glaubt, dass alles mit dem Tod endet, der braucht womöglich kein Erinnerungszeichen für die Nachwelt in Form eines Grabes oder einer Tafel. Anderen wiederum sind das letzte Fest und eine repräsentatives Grab wichtig. Der ideale Bestatter stellt sich mit seinem Serviceangebot auf alle gesellschaftlichen Strömungen ein, denn Menschen brauchen eine Instanz, die sie als Kapazität durch die große Bandbreite an Möglichkeiten navigiert und bei aller Vielfalt und verschiedenen Möglichkeiten eine stimmige und tröstende herausfindet.
An welche Kriterien denken Sie heute, wenn Sie von einer „qualitätvollen Bestattung“ sprechen?
Vor einigen Jahren war die Antwort noch ganz eindeutig. Da stand ein prachtvoller Sarg im Mittelpunkt der Abschiedsfeier. Es ging darum, gesehen zu werden. Dieses Präsentieren entfällt meist, wenn der Verstorbene kremiert wird. Heute würde ich die Individualität einer Bestattung als wichtigstes Qualitätskriterium definieren. Für Bestatter ist es essenziell, Wünsche herauszuhören und auf sie einzugehen – bei der Trauerfeier, indem er auf persönliche Eigenschaften und Vorlieben des Verstorbenen verweist, oder indem er eine entsprechende Grabstätte empfiehlt, wie etwa eine Baum- oder Seebestattung oder ein Grab mit Gestaltungsmöglichkeiten. Auf Hinterbliebene einzugehen bedeutet auch, sich neuen Bestattungsarten zu öffnen, wie etwa der Beisetzung von Sternenkindern. Von Sternenkindeltern habe ich gehört, dass Bestatter nicht einmal Kindersärge in ihrem Sortiment führten. „Verwaiste Eltern“ sind in Deutschland gut vernetzt. Aus meiner Arbeit im Beirat dieses Verbandes weiß ich, dass sich zwar viele Trauerredner und Menschen aus dem Pflegebereich in der Vereinigung engagieren, aber nur sehr wenige Bestatter. Dabei spielen gerade diese eine zentrale Rolle bei einem solch schweren Abschied. Nicht selten sind sogar die Friedhöfe mit Bestattungsfeldern für Sternenkinder progressiver als die Bestatter selbst. Auch dies ist ein Feld der Erinnerungskultur, das es mitzugestalten gilt.
Stichwort Erinnerungskultur: Welche Rolle spielt sie aktuell und in welcher Form?
Erinnerungskultur wird immer wichtiger. Denken Sie an Straßenkreuze für Unfallopfer, Blumen und Kerzen an Orten, an denen eine Gewalttat stattgefunden hat, Widmungen für Verstorbene auf Parkbänken, … Hier schlummert noch ein großes Potenzial für Friedhöfe und für Bestatter. Auf dem Olsdorfer Friedhof etwa gibt es eine neue, von Fans initiierte Erinnerungsstätte für den im vergangenen Jahr verstorbenen Sänger der Band Linkin Park, Chester Bennington. Erinnerungskultur fällt auch in den Dienstleistungsbereich von Bestattern, die in ihrer Funktion als erster Ansprechpartner in Todesfällen Anregungen und Hilfeleistungen für eine gelebte Erinnerungskultur geben können – öffentlich wie auch im privaten Raum.
Im 19. Jahrhundert gab es noch eine sehr ausgeprägte Erinnerungskultur in den eigenen vier Wänden, die lange Zeit verschwunden war: Spiegel wurden verhängt, die Uhr angehalten, Bilder aufgestellt, das ganze Haus wurde zu einer Gedenkstätte. Kommt der Tod nun wieder nach Hause?
Ja, das sehe ich auf jeden Fall. Die Diskussion wurde durch die Gesetzesänderung in Bremen vor zwei Jahren wieder angefacht, die es ermöglicht, die Urne mit nach Hause zu nehmen. Darüber hinaus gibt es inzwischen Erinnerungsprodukte mit Fingerabdrücken, Mini-Urnen oder kleine Behälter für Haarlocken oder andere Gedenkstücke. Auch Glas- und Kristallskulpturen werden eigens zum häuslichen Gedenken an einen Verstorbenen angefertigt. Für jeden zugänglich und daher zunehmend weit verbreitet sind Social Media und Online-Trauerportale, auf denen Filme und Fotos hinterlegt und virtuelle Gedenkkerzen angezündet werden können. Todesanzeigen in Tageszeitungen verlagern sich immer mehr auf diese Formen der Trauerkultur. Auch hierauf sollten sich Bestatter einstellen und eine aktive Rolle übernehmen, etwa durch die Implementierung von Trauerportalen auf ihrer Website.
Wird zu wenig über das Sterben geredet?
Ja, das Bedürfnis ist groß, wie ich bei meinen Vorträgen immer wieder feststelle. Es gibt immer noch zu wenig Anlaufstellen und Selbsthilfegruppen. Auch Bestatter könnten dies ändern. In Wien beispielsweise ist die kommunale Bestattung als Anlaufstelle etabliert und auch in der Werbung präsent. Auch hiesige Bestattungsunternehmen könnten sich noch mehr im öffentlichen Raum engagierten, um als anerkannte Instanz in Sachen Tod wahrgenommen zu werden.