Deutschland im Bestattungskulturwandel – Interview mit Ulrike Bohnet

Ulrika BohnetUlrika Bohnet betreut als Bestatterin des Bestattungshauses Haller angehörige in Stuttgart.

Ulrika Bohnet hat Ethnologie und Zentralasienwissenschaften studiert und zum zeitgenössischen Schamanismus in Sibirien geforscht- dort sind Schamanen wieder sehr wichtig in der Begleitung von Verstorbenen in die andere Wirklichkeit. Seit 2014 betreut sie als Bestatterin des Bestattungshauses Haller Angehörige in Stuttgart.

 

Wie fließen Ihre Erfahrungen und Erlebnisse aus unterschiedlichen Kulturen in Ihren Beruf ein?

In meinem Studium der Ethnologie konnte ich bezüglich der Reflexion meiner eigenen kulturellen Vorprägung viel lernen. Man bringt sich selbst immer mit. Wichtig ist es, dies wahrzunehmen, aber daraus keine Wertungen oder Beurteilungen abzuleiten. Das engt ein und kann Begegnungen – auch über den eigenen Tellerrand hinaus – verhindern. Als Ethnologin erlernt man auch methodische „Arbeitswerkzeuge“, die dann im Rahmen einer Feldforschung, also eines längeren Aufenthalts „innerhalb“ einer Ethnie, bei der Kommunikation und beim Versuch helfen, Wissen zu sammeln. Eine Feldforschung kann bei den Tywa in Südsibirien stattfinden, in einer Subkultur um die Ecke oder eben im Alltag. Es geht darum, offen und wahrnehmend zu bleiben, um zu spüren, wo der andere ist. Und das mit allen Missverständnissen, Zuschreibungen und Fehlinterpretationen, die uns Menschen ja auch ausmachen.

Ich bin sehr dankbar um den Austausch und die Begegnungen, die ich während Forschungsaufenthalten, Reisen oder Kunstprojekten in unterschiedlichen Kulturen erleben konnte. In meiner täglichen Arbeit helfen mir diese Erfahrungen, meine eigenen Ideen oder Prägungen zwar mitzubringen und zu nutzen, aber im Austausch mit Angehörigen auch immer wieder herunterzubrechen, um vielleicht mehr verstehen zu können. Das ist oft erleichternd und ich kann immer wieder etwas Neues lernen, auch was sich im Hier erhält oder anverwandelt.

 

Angehörige welcher Religionen bestatten Sie und welche Traditionen und Rituale haben Sie für Ihre Arbeit übernommen?

Wir bestatten Angehörige verschiedener orthodoxer Kirchen, wobei die für rituellen Abläufe bestimmenden Unterschiede z.B. des russisch-orthodoxen, griechisch-orthodoxen oder serbisch-orthodoxen Kanons sehr wichtig sind; da sind Christen aus Äthiopien oder Armenien oder buddhistisch geprägte Familien. Da die in Stuttgart lebende große muslimische Community oft mit ihren eigenen Bestattern zusammenarbeiten, bestatten wir vor allem Muslime, die z.B. mit einem christlichen Partner verheiratet sind oder die schon so lange hier leben, dass die Familie – oft die zweite bzw. dritte Generation – mit uns als deutschem Bestatter zusammenarbeiten wollen. Wir haben aber auch schon Abschiednahmen mit Jenseitsgaben aus Papier bei uns gehabt, die in Asien anschließend verbrannt werden und somit den Verstorbenen im Jenseits zur Verfügung stehen. Und in der sich ständig erweiternden kulturellen Vielstimmigkeit in Deutschland werden sich auch die rituellen Bedürfnisse innerhalb einer zeitgenössischen Bestattungskultur weiter öffnen und verändern.

Von einer direkten  „Übernahme“ konkreter Rituale aus bestimmten Traditionen kann ich nicht allgemein sprechen: Ich versuche, in jedem einzelnen Fall die (auch rituellen) Wünsche von Angehörigen z.B. einer bestimmten Religion zu verwirklichen – in Zusammenarbeit mit den städtischen Stellen oder in unseren eigenen Räumlichkeiten, wo viel individuelle Gestaltungsmöglichkeit besteht. Mittlerweile gibt es nach Mekka ausgerichtete muslimische Grabfelder auf hiesigen Friedhöfen, und seit 2013 ist auch in Baden-Württemberg die Bestattung im Tuch für muslimische Mitbürger möglich.

 

Was fehlt der Bestattungs- und Trauerkultur in Deutschland und welche Bräuche aus anderen Religionen wären eine gute Ergänzung?

Es gibt ja einen zunehmenden Trend zur Individualisierung oder Anonymisierung von Bestattungen, was ja auch mit der vor allem für jüngere Menschen nicht mehr stimmigen Verortung in christlichen Bestattungsriten in Zusammenhang steht. Verbindliche Traditionen innerhalb von Trauerkultur, wie z.B. Trauerkleidung sind ja schon lange nicht mehr allgemein verständlich oder anwendbar, und so bleibt es sehr spannend, welche neuen rituelle Räume wir gestalten können: innerhalb der Bestattungskultur und darüber hinaus. Wie wird das Thema Tod, Bestattung, Erinnern überhaupt kommuniziert, wie kann man es nach einer langen Epoche der Tabuisierung als Teil des Lebens und von Lebendigkeit im Leben verorten? Dazu berichten wir z.B. in unserer Zeitschrift „Lebenszeiten“ immer wieder über Bestattungstraditionen in anderen Kulturen. Oder etablieren eine Gedenkfeier zur Tag-und-Nachtgleiche im Frühling: zu diesem z.B. für die keltischen Kulturen wichtigen Zeitpunkt zur Wiederkehr des Lichts rufen wir uns die Verstorbenen des letzten Jahres in Erinnerung und gedenken ihnen gemeinsam mit den Angehörigen- denn Jahrestage wohnen ganz physisch in uns und unserer Trauer.

Sehr spannend finde ich auch unterschiedliche kulturelle Traditionen des Beisammenseins nach der Trauerfeier vom Reisesegen im Pub in Irland, wo Tränen und Hochprozentiges gleichermaßen fließen  zum „Tränenbrot“ in Rumänien oder mit rituellem gemeinsamem Essen, die man z.B. in Georgien „für den Verstorbenen“ verzehrt. Das könnte eine gute Ergänzung sein, weil sie auch dem gemeinsamen Erinnern und dem Austausch ganz analog Raum gibt. Allerdings glaube ich, dass solche rituellen Neu-Verortungen langsam wachsen, sich nicht einfach aus anderen Kulturen „konsumieren“ lassen.

 

(Wie) funktioniert „Integration“ und möglicherweise gegenseitige kulturelle Beeinflussung bei Bestattung? Sollten sich Bestatter und auch die Zulieferindustrie stärker öffnen?

Da in Deutschland Angehörige vieler Kulturen zusammen leben, sterben und bestattet werden, ist eine gegenseitige kulturelle Beeinflussung bei der Bestattung ein ganz naheliegender Vorgang, der aber eher leise und in feinen Nuancen geschieht. Dabei kann man beobachten, dass vor allem bei Ehen oder Partnerschaften mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen dieses Aufrufen verschiedener religiöser bzw. kultureller „Zutaten“ bei der Bestattung passiert. So hatten wir auch schon eine deutsch-thailändische Trauerfeier, bei der ein freier Redner und ein buddhistischer Würdenträger gemeinsam agierten. Aber auch bei dieser Kombination von Komponenten aus unterschiedlichen kulturellen Traditionen werden diese nicht umfassend vermischt.

Als Bestatterin nehme ich in jedem Gespräch mit Menschen anderer Kulturen neu Kontakt zu deren Bedürfnissen auf und freue mich, wenn ich diese umsetzen kann, auch über konventionell vertrautere Abläufe hinaus. Gleichzeitig bringe ich mich mit meinem Erfahrungswissen und meine eigenen Prägungen mit und kann damit viel anbieten, auch außerhalb einer kulturell vermittelten Tradition den Weg zur stimmigsten Bestattung zu finden. „Integration“ ist für mich, was im Zusammentreffen mit dem direkten Gegenüber stattfindet, in jeder einzelnen Begegnung, unterstützt durch gegenseitige Achtung und Interesse gleichermaßen. Und das handelt sich immer neu aus und hat mit der Öffnung jedes Einzelnen zu tun, der als Bestatter oder auch in der Zuliefererindustrie tätig ist.