Für einen neuen Umgang mit Tod und Trauer steht auch Eric Wrede, Gründer von „lebensnah Bestattungen“ in Berlin. Der ehemalige Musikmanager stieg aus seinem Job aus, um seine Idee von einem persönlichen Bestattungsinstitut umzusetzen. Sein Handwerk erlernte Eric Wrede in einem traditionellen Berliner Bestattungshaus. In seinem eigenen Bestattungsinstitut begleitet er Hinterbliebene über den gesamten Prozess der Abschiednahme: vom ersten Anruf bis zum abschließenden Gespräch, das mehrere Wochen nach der Beisetzung stattfindet. Sein Ziel: gemeinsam mit den Hinterbliebenen einen passenden Weg zu finden, den Tod zu akzeptieren und Abschied zu nehmen. Eric Wrede ist Mitglied bei UNSER TOD, einer Vereinigung von Hospizmitarbeitern, Psychologen, Bestattern und Soziologen – Menschen, die im Rahmen von Trauer, Abschied und Tod arbeiten. Ziel ist es, Hinterbliebenen und auch anderen Menschen Aufklärung zu bieten, aber auch konkrete Hilfe bei Fragen und Problemen leisten zu können.
Was ist Ihrer Ansicht nach das größte Defizit in unserer Gesellschaft, wenn es um den Tod und die Bestattung geht?
Grundsätzlich geht es um Zugang zu und Bedürfnis nach Information rund um das Thema Sterben, Abschiednehmen und sicherlich auch das Altern an sich. Wahrscheinlich sprechen wir über das letzte Tabu unserer Gesellschaft. Wir können über Analsex sprechen, aber kaum über den Tod und das Abschiednehmen. Jedoch das Tabu bekommt Risse.
Aber die größten Defizite entstehen aus der Diskrepanz zwischen dem Interesse der Informationsgeber (Verkaufen) und dem Ziel der zu Informierenden (bestmöglicher Abschied). Ein guter Abschied setzt bewusste Entscheidungen voraus. Für diese braucht es aber objektive Informationen. Und das ist im aktuellen System schwierig.
Warum glauben Sie, dass ein Umdenken wünschenswert wäre?
Es wird sogar wirtschaftlich zwingend notwendig werden, denn wie lange kann man Kunden noch erklären, dass ein und dieselbe „Ware“ zu zum Teil so horrend unterschiedlichen Preisen angeboten wird? Der gerade stattfindende Wandel wird vor allem die hochpreisigen Traditionshäuser am härtesten treffen. Denn die Bedürfnisse am Markt entwickeln sich nur an zwei Punkten positiv: preiswerte Bestattungen und die sehr betreuungsintensiven Individualbestattungen. Alles Weitere wird die Zeit und die Digitalisierung klären, zumindest was das Umdenken in der Branche anbetrifft. In der Gesellschaft wird alleine der nächste Generationswechsel sein Übriges tun. Die Alt-Achtundsechziger sind mittlerweile dran, Ihre Eltern beizusetzen.
Denken Sie, Sie können diesbezüglich im Kleinen Großes bewirken? Wenn ja, wie?
Außer unserer alltäglichen Arbeit haben wir als Haus keine Mission, aber damit bewirken wir im Zweifel mehr als genug! Jeder Besucher einer unserer Trauerfeiern bzw. Abschiednahmen, gemeinsamen Einfahrten ins Krematorium oder Sargbausessions etc. versteht meist ganz schnell: Irgendetwas ist hier anders. Gleiches gilt natürlich für die wunderbaren Kollegen, mit denen wir gut zusammenarbeiten. Und klein ist in dem Falle nicht mehr richtig. Wenn man sieht, dass die alternativen Berliner Bestatter mittlerweile über die Hälfte alle Beisetzungen von Verstorbenen unter 18 machen, dann ist das nicht mehr klein, sondern mehr als marktrelevant. Zumindest im Berliner Markt.
Was muss passieren, damit ein Umdenken und ein stärkeres Bewusstsein für den achtsamen und bewussten Umgang mit dem Tod und mit Verstorbenen stattfindet?
Bewusstsein entsteht aus Sprache. Gerade wir als Bestatter müssen aus der Seriositätsfalle ausbrechen. Fragen nach einem achtsamen Umgang mit Verstorbenen dürften sich anno 2016 eigentlich nicht mehr stellen. Der sollte Standard sein. Gerade diese Formulierungen finden sich immer wieder auf Bestatterwebseiten, aber das treibt einen nur noch weiter in die Austauschbarkeit. Ich kann natürlich nur für uns sprechen, aber ganz oben auf der Agenda steht: interdisziplinäres Arbeiten. Gerade in Großstädten, wo die klassischen Seelsorger in Form eines Pfarrers kaum noch zum aktiven Stadtleben gehören, kommen diese Aufgaben immer stärker auf Bestatter zu. Hierbei ist es bei uns wichtig, als Dreh- und Angelpunkt zwischen Hospiz, Abschiednehmen und nachgelagerter Trauerarbeit tätig werden zu können.
Wodurch heben Sie sich von anderen Bestattern ab?
Wir haben uns in der Arbeit aus der Situation des Verkäufers befreit, was uns im ganzen Umgang viel mehr Glaubwürdigkeit, aber auch Freiheit und Verantwortung gibt. Natürlich kochen auch wir nur mit Wasser, und die Grenzen unserer Arbeit setzt die aktuelle Gesetzgebung, aber unser Preismodell und unsere Aufstellung erlauben uns eine viel zeitintensivere Begleitung und Betreuung.
Würden Sie sagen, Ihr Bestattungsinstitut ist Begründer bzw. Teil eines neuen Trends oder einer Gegenbewegung?
Trends gibt es nicht ohne Bedürfnisse, was nun zuerst da war, kann ich nicht sagen. Aber die Vernetzung der moderner arbeitenden Häuser ist natürlich wichtig, lokal, wie auch national. Alleine wenn es um so etwas, wie Lobbyarbeit geht. Schauen Sie sich die Bestimmungen der DIN 15017 an. So sehr viele Sachen davon Standards abbilden, die so gering sind, dass sie mir Angst machen, existieren auf der anderen Seite sind gerade bei der Versorgung von Verstorbenen Handlungsvorschläge, die dafür Sorge tragen sollen, dass bei einer Abschiednahme ein „schlafender“ Eindruck entsteht. Was natürlich trauerpsychologisch absurd ist. Auf diese Punkte muss durch Lobbyarbeit Einfluss genommen werden. Und das geht nur gemeinsam.
Was ist für Sie das Wichtigste im Umgang mit Hinterbliebenen?
Zeit und Aufklärung. Wir treffen Hinterbliebene sieben, acht, neun Mal, manchmal zehn Mal. Unsere Arbeit beginnt nicht mit dem Tod und endet nicht mit der Beisetzung. Wir versuchen immer, jeglichen künstlichen Zeitdruck von den Hinterbliebenen zu nehmen. Natürlich kommt uns hier das lokale Bestattungsgesetz zugute. Aber essenziell ist, dass jeder bei uns sich als Mensch einbringt, mit seiner Geschichte und seinem Charakter. Glaubwürdiges Begleiten ist nur durch Persönlichkeit möglich, die sich nicht hinter Seriosität versteckt.
Was ist das Wichtigste im Umgang mit dem Verstorbenen?
In erster Linie bestehen eigentlich nur zwei Aufgaben im Umgang mit Verstorbenen. Erstens: Nicht vergessen, dass man immer noch mit einem Menschen arbeitet, auch wenn er verstorben ist. Zweitens: Was dient den Hinterbliebenen im Prozess Ihrer Trauer und Verabschiedung, wenn es um den Umgang mit dem Verstorbenen geht?
Was ist Ihre Triebfeder/Motivation?
Wir wollen mit unserer Arbeit den Tod wieder zu einem natürlicheren Bestandteil des Lebens machen. Der Tod wird immer ein Arsch sein, der zu einem ungünstigen Zeitpunkt auftritt. Aber die künstlich geschaffene Blackbox „Tod“, umgeben von Geheimnissen, Mythen und falscher Seriosität hilft niemandem in seiner Trauer.
In welchen Momenten empfinden Sie Ihren Beruf als besonders befriedigend/erfüllend?
Immer dann, wenn wir das Gefühl haben, dass genau dieser Abschiedsprozess nur in unserem interdisziplinären Netzwerk möglich gewesen ist, und vor allem immer dann, wenn Menschen vorher bestehende Irrtümer abgelegt und dabei einen persönlicheren Weg des Abschiedes gefunden haben.
Würden Sie sagen, dass eine „gute Bestattung“ eine Sache des Geldes ist?
Wir hier denken selten in Dimensionen der reinen Bestattung bzw. Beisetzung. Diese ist nur ein Baustein des gesamten Abschieds. Und ja, dieser Baustein ist eine Frage des Geldes, alleine wenn es um die Auswahl der Stelle auf dem Friedhof geht. Jedoch ein guter Abschied abseits dessen muss nicht eine Frage des Geldes sein, der entsteht durch Zeit, Zusammenhalt in der Familie und Partizipation an den zu erledigenden Aufgaben.
Was ist eine „gute Bestattung“?
Wie schon gesagt, eine gute Bestattung ist immer nur ein Teil eines „guten“ Trauerprozesses. Und besonders gut verläuft sie, wenn auch Jahre später noch alle Beteiligten sagen: „So war es gut, so war es richtig. Wir würden alle Entscheidungen auch jetzt, mit einem größeren Abstand, genauso wieder treffen.“
Warum ist diese vielen Menschen nicht mehr wichtig?
Das erleben wir anders. Die Antworten des Bestattungsgewerbes sind für viele Menschen in der aktuellen Form nicht mehr wichtig. Denn mittlerweile haben fast alle verstanden, dass auch der teure Sarg niemanden zurückbringt. Jedoch für Waren, die Interaktivität ermöglichen, geben unsere Kunden natürlich auch Geld aus, weil das einen nachhaltigen Wert für sie hat. Särge, die Hinterbliebene selber bauen und gestalten können, Tücher, die es erleichtern dem Verstorbenen Geschenke mitzugeben, Urnen die ein Gefühl des Besonderen vermitteln − all das hat seine Berechtigung. Unsere Aufgabe ist, die sich verändernden Interessen zu verstehen und unsere Angebote zu verändern.