Alternativer Totensonntag – „Den Tod aus dem Leben auszuschließen, tut auch dem Leben nicht gut.“

Jan S. Möllers - Berliner Vorbereitungskreis

(Interview mit Jan S. Möllers)

 

Am Sonntag, den 26. Mai gingen Aktivist*innen eines neuen und freundlichen Umgangs mit dem Tod, im Rahmen des Alternativen „Totensonntags“ in Berlin-Friedenau auf die Straße. Unter dem Motto „Der Tod ist eine Zumutung – Trauern macht glücklich!“ trugen sie in die Öffentlichkeit, was sonst als etwas höchst Privates gesehen wird: die Trauer. Jan S. Möllers aus dem Berliner Vorbereitungskreis ist der Meinung, dass viele Menschen im Kleinen eine tolle Arbeit machen und es an der Zeit sei, über die gesellschaftliche Dimension des Todes sowie über Selbstbestimmung und Wertschätzung von Trauer und Abschied zu diskutieren.

 

Was steckt hinter der Idee des alternativen Totensonntags?

Die letzten Jahrzehnte waren davon geprägt, dass Menschen im direkten Kontakt mit Trauernden und im beruflichen Handeln ein anderes Verständnis von Sterben, Tod und Trauerbegleitung entwickelt haben. Aufbauend auf diesem 1:1-Kontakt beginnt jetzt die zweite Phase: Die Entwicklung sucht eine neue Form und findet sie auch bereits. Dies zeigt sich unter anderem im erhöhten Medieninteresse und in öffentlichen Diskussionen. Das Tun im Kleinen hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass man im Großen reden und auch Ideen entwickeln kann – wie eben den alternativen Totensonntag, eine kleine Trauerprozession mit selbst gestalteten Grabkerzen für Verstorbene durch unseren Kiez.

 

Wie wichtig sind Abschiedsrituale, zum Beispiel am Sarg?

Er ist ein ganz zentraler Moment für den Trauerprozess, bevor der Körper des Verstorbenen in seiner Ganzheit bei der Feuerbestattung aufgelöst oder bei der Erdbestattung unerreichbar wird. Der Sarg ist ein starkes Symbol, an dem die Endgültigkeit und Realität des Todes intensiv empfunden wird. Auch die Idee, dem Körper zwischen dem Tod und der Bestattung noch eine schützende Hülle zu geben, spielt eine große Rolle. Die Ebene der Dinge und ihre Symbolkraft ist oft für Hinterbliebene sehr wichtig – dazu zählen auch Kleidung oder Beigaben. Andere Zugehörige wiederum möchten ihren Toten ohne alles gehen lassen und Weltliches in der Welt belassen.

 

Was sollte sich im Umgang mit Tod und Trauer ändern?

Zum Einen brauchen wir mehr Freiheit bei der Frage: Wie wollen wir mit unseren Verstorbenen umgehen und wieviel Zeit brauchen Trauernde zum Abschiednehmen? In fast allen Bundesländern gibt es einen gesetzlichen Gestaltungsspielraum, wenn Hinterbliebene ihren Toten noch einmal aus der Klinik oder dem Pflegeheim mit nach Hause nehmen und länger als 36 Stunden mit ihm verbringen möchten. In Berlin ist das nicht vorgesehen, was ich gerade bei verstorbenen Kindern als besonders schlimm empfinde. Viele Eltern haben den Impuls, ihr totes Kind nach Hause zu holen oder in einer Decke auf ihrem Schoß zu halten. In vielen Bundesländern ist es auch nicht möglich, mit einer Urne noch einmal die gemeinsame Lieblingsradtour abzufahren oder ähnliches. Warum trauen wir es den Menschen nicht zu, noch einmal in Ruhe ‚tschüss‘ zu sagen?

Das zweite Thema ist praktische Entlastung für Trauer. Menschen im Trauerprozess haben nicht so viel Energie für anderes, etwa für ihre Arbeit. Fast immer werden sie krankgeschrieben, Ärzte müssen sich immer andere Diagnosen ausdenken – vom Erschöpfungszustand bis zu Depressionen, bloß weil Trauernde die Anforderungen temporär nicht erfüllen können, die an sie gestellt werden. Man macht sie krank.

Mit dem gesetzlichen Mutterschutz unterstützen wir Menschen, wenn das Leben beginnt – warum nicht auch, wenn es endet? So würden Trauernde nicht abgeschottet, sondern blieben mit ihrer Arbeit und ihren Kollegen verbunden. Diese könnten sich überlegen, wie sie den oder die Trauernde entlasten und unterstützen können, und es würde dem trauernden Menschen Respekt für seine Situation zuteil. Dies ist wichtig, da Arbeit oft ein wichtiger Quell von Identität und Bestätigung ist, der auch Halt geben kann. Daher denke ich, dass auch Betriebe davon profitieren, wenn sich die Kollegen sich mit Endlichkeit auseinandersetzen müssen. Denn den Tod aus dem Leben auszuschließen, tut auch dem Leben nicht gut.

 

Links:

memento-entwicklungen.de
sarggeschichten.de