
Das Rhein-Taunus-Krematorium liegt in Dachsenhausen, inmitten einer idyllischen Naturlandschaft mit angeschlossenen Friedhöfen. Angehörigen und Trauergästen bietet das Krematorium die Möglichkeit zur Abschiednahme. Geführt wird es von Karl-Heinz und seiner Tochter Judith Könsgen als ein Haus mit offenen Türen. Sie möchten Menschen zeigen, was hier geschieht und wie der Betrieb einer modernen Feuerbestattungsanlage organisiert und umgesetzt wird. Dieses Angebot nutzen beispielsweise Schulklassen, verschiedenste Vereine oder Menschen, die einfach einmal wissen möchten, wie ein modernes Krematorium funktioniert. Mit seinen sechs Einäscherungsanlagen zählt das Rhein-Taunus-Krematorium zu den größten und modernsten Krematorien Europas.
Was sind die größten Veränderungen in den letzten Jahren?
Karl-Heinz Könsgen: Seit die Krematorien nicht mehr ausschließlich staatlich betrieben werden, sind sie oft dienstleistungsorientierter geworden: Wir bestatten arbeitnehmerfreundlich, auch samstags und kommen so Trauergästen entgegen, die eine weite Anreise haben. Menschen nehmen sich für eine Beerdigung heute kaum noch Urlaub. Bei uns im Rhein-Taunus-Krematorium finden Einäscherungen außerdem immer häufiger im Beisein der Angehörigen statt, die vom Abschied am Sarg über die Übergabe ans Feuer bis zur Beisetzung der Urne alles an einem Tag und an einem Ort feierlich begleiten können. Dies ist allerdings in Deutschland bislang noch eher die Ausnahme als die Regel. Wichtig ist es für uns als privates Krematorium, der Trauergemeinde alle Formen des Abschieds zu ermöglichen – das können Räucherstäbchen mit Gesängen bei buddhistischen Kremierungen sein, Lebensmittelgaben bei Hindus oder symbolisches Spielgeld, das Chinesen ihren Verstorbenen mitgeben. Hells Angels legen einen Silberdollar für den Fährmann auf die Augen, während Katholiken und Protestanten sich meist mit einer Blume oder einem Kranz begnügen.
Judith Könsgen: Veränderungen bringt natürlich auch die zunehmende Digitalisierung mit sich. Wir helfen dem Bestatter dabei, dass er nicht nur im Internet besser gefunden wird, sondern bieten auch elektronische Unterstützung in der Abwicklung, Nachverfolgung und Dokumentation der Sterbefälle.
Die Kremationszahlen steigen. Wächst in dem Zuge auch der Wettbewerb?
Karl-Heinz Könsgen: Es gibt genügend Krematorien und einen entsprechenden Preiskampf am Markt. Oft sind es branchenfremde Investoren, die neue Anlagen bauen wollen und nicht selten an Bürgerinitiativen oder dem Bauamt scheitern. Man hört von den abenteuerlichsten Ideen, wie eine Vollautomatisierung ohne Menschen. Dann würde nur noch der Scanner kontrollieren, was viel zu viele Risiken birgt. Bei uns wird zum Beispiel nach der zweiten Leichenschau durch den Amtsarzt im Beisein eines Mitarbeiters immer noch einmal final überprüft, ob es sich um einen männlichen oder weiblichen Verstorbenen handelt, um Verwechslungsrisiken so gut wie möglich auszuschließen.
Was sind die wichtigsten Qualitätsmerkmale eines Krematoriums?
Judith Könsgen: Unterschiedliche Gütesiegel wie in unserem Falle RAL bieten eine Orientierungshilfe. Über technische, hygienische und emissionsbezogenen Voraussetzungen hinaus wird vor allem Wert auf ethische Gesichtspunkte gelegt. Da wir uns mit all diesen Vorgaben identifizieren, ist unser Krematorium immer offen für eine Besichtigung – ohne Anmeldung. Das gilt natürlich auch für Bestatter. Für sie bedeutet Qualität natürlich eine pünktliche und schnelle Rückführung der Urne. Wir können dies innerhalb von drei Tagen nach Freigabe leisten. Leider sind die langwierigen Prozesse bei den Standesämtern ein häufiger Verzögerungsgrund. Viele Bestatter werden regelmäßig persönlich bei ihrem zuständigen Amt vorstellig und erinnern daran, dass hinter jedem Verwaltungsakt auch ein Verstorbener mit Angehörigen steht.
Wie wichtig ist die zweite Leichenschau?
Karl-Heinz Könsgen: Nach unseren Erfahrungen ist die zweite Leichenschau sehr wichtig. Zu uns kommt der Amtsarzt täglich und stellt nicht selten fest, dass die Totenscheine bei der ersten Leichenschau fehlerhaft ausgestellt wurden. Allzu oft wird „Herzversagen“ statt als Todesfolge als Todesursache eingetragen – mit weitreichenden Konsequenzen. Hinweise auf Unfälle, Morde, Pflegenotstände werden häufig erst bei der amtsärztlichen Untersuchung entdeckt. Drei- bis viermal die Woche müssen wir die Kriminalpolizei rufen. In den dreistesten Fällen werden auch mal Spuren eines Stricks um den Hals verdeckt, um einen Freitod zu kaschieren. Bei einer Erdbestattung ohne zweite Leichenschau dürfte entsprechend einiges unentdeckt bleiben.
Was passiert mit Wertgegenständen wie Eheringen, die nicht nur einen realen, sondern meist auch einen ideellen Wert haben?
Judith Könsgen: Während ein verbindliches Rechtsurteil noch aussteht, ist die Regelung nach RAL eindeutig: Zahngold oder Eheringe verbleiben nach der Einäscherung in der Urne. Durch ein Kameraüberwachungssystem und weitgehend automatisierte Filter- und Aufbereitungsvorgänge schließen wir aus, dass Mitarbeiter Edelmetalle an sich nehmen können.
Große Teile wie Hüft- oder Kniegelenke, lange Stäbe und ähnliche medizinische Metalle sammeln und spenden wir für gemeinnützige Zwecke. Manche Krematorien hingegen nutzen den Erlös – auch von Gold – zum Teil dafür, Gebühren zu senken oder für die Friedhofssanierung.
Welche persönlichen Grabbeigaben werden mit verbrannt bzw. müssen vorher dem Sarg entnommen werden?
Judith Könsgen: Wir hatten einmal eine Familie, die ihrem Verstorbenen als Erinnerung an seinen letzten Einkauf, von dem er nicht zurückkehrte, Bananen in den Sarg gelegt hat. Kinder geben häufig Stofftiere mit. Auch Fotos sind beliebt. Glasrahmen müssen wir jedoch aus Sicherheitsgründen ebenso entfernen wie Champagnerflaschen oder Lederstiefel.
Welche Rolle spielt der Sarg bei der Einäscherung und den begleitenden Zeremonien?
Karl-Heinz Könsgen: Wir befürworten die Trauerfeier am Sarg und haben eigens für den Abschied eine Trauerhalle eingerichtet, in der Verstorbene aufgebahrt werden können. Ein hochwertiger Sarg kommt zwar auch dem Bestatter zu Gute, doch spielt er im Vergleich zur Zeremonie mittlerweile eine untergeordnete Rolle. Im Sinne der Beratungskompetenz ist eine fundierte Bestatter-Ausbildung besonders wichtig. Denn statt einer ungehobelten splitternden Holzkiste können genauso gut auch günstige Särge der zweiten oder dritte Preiskategorie in den Verkaufsräumen ausgestellt werden. Für uns als Krematorium zählen natürlich Brennwert und Stabilität – gerade bei Adipösen, die leider nicht immer in einen entsprechenden Sarg gebettet werden.
Für Übergrößen haben Sie spezielle Anlagen. Was hat es damit auf sich?
Judith Könsgen: Herkömmliche Einäscherungsanlagen sind hinsichtlich der Maße, der Filtertechnik und des Abwärmetauschers nicht für Adipöse ausgelegt. Das Fett erzeugt sehr viel heißes Rauchgas innerhalb kurzer Zeit, sodass sich die Anlage aufgrund zu hoher Temperaturen ausschaltet und in den Sicherheitsmodus geht, um einen Kaminbrand zu vermeiden. Wir betreiben zwei Anlagen für schwere Verstorbene ab 200 bis über 400 kg, die eigens konstruiert wurden. Auch andere Gewerke stellen sich mit extrabreiten Särgen und Transportfahrzeugen in Übergrößen oder Seilwinden als Transporthilfe für den Bestatter auf Adipöse ein. Von einer Erdbestattung sei den Hinterbliebenen dennoch abgeraten: Der Sarg müsste auf einem speziellen Sargwagen zum Grab transportiert und unter hohem Kraftaufwand hinuntergelassen werden. Hinzu kommt die überdurchschnittliche Wahrscheinlichkeit der Wachsleichenbildung. In solchen Fällen ist unserer Meinung nach die Feuerbestattung sicherlich die pietätvollere Wahl.