Suizid – Bestatter-Ausbildung, Trauerbegleitung und Bestattung
Ein Beitrag von Christina Siegwarth, Bestatterin, ausgebildete Trauerbegleiterin und Ausbilderin an der Theo-Remmertz-Akademie e.V., dem Ausbildungszentrum für Bestatter in Münnerstadt
Laut Statistik sterben jährlich in Deutschland etwa 12.000 Menschen durch Suizid, darunter befinden sich täglich ein bis zwei Personen unter 25 Jahren. Aus der Befürchtung heraus, dass es Nachahmer geben könnte, werden Suizide nicht mehr veröffentlicht. Besonders bedrohlich wird es, wenn ein Prominenter oder ein Idol sich das Leben nimmt.
Aus der Region, aus der ich komme, haben wir extrem viele Suizide durch die Bahn, im Dezember 2018 sechs Menschen innerhalb von 20 Tagen. Das Bergen der Körperteile ist nicht nur eine psychische, sondern auch eine physische Belastung; oft sind es weite Strecken auf unwegsamem Gelände. Darüber hinaus müssen wir uns auf erweiterte Suizide einstellen (beispielsweise bringt ein Familienvater erst seine Frau, seine Kinder und dann sich selbst ums Leben, d.h. wir finden mehrere Verstorbene vor, mit dem Hintergrund einer Verzweiflungstat). Suizide kommen in allen Alters- als auch in allen Gesellschaftsstrukturen vor.
„Mitfühlen, aber nicht Mitleiden“ – in unseren Gesprächen mit Angehörigen lassen wir Bestatter uns von diesem Satz leiten. Es ist wichtig, den Hinterbliebenen Empathie entgegenzubringen, also mitzufühlen. Wenn ich dagegen mitleide, bin ich schwach und nicht in der Lage selbst eine Hilfe zu sein. Doch genau diese Hilfe benötigen Menschen in dieser Ausnahmesituation.
Angehörige vertrauen uns Bestattern ihren Verstorbenen und auch einen Teil ihrer Lebensgeschichte an. Es ist für uns daher sehr hilfreich, wenn wir einen guten und gefestigten Umgang mit dem Thema Tod und Trauer haben. Dafür ist das Seminar „Trauerpsychologie“, das an der Theo-Remmertz-Akademie angeboten wird, ein wichtiger Baustein; ein Seminar nicht nur für Auszubildende zur Bestattungsfachkraft, sondern auch für geprüfte Bestatter sowie Bestattermeister.
Durch meine 33-jährige Berufserfahrung kann ich anhand vieler Beispiele einen guten Einblick in das Thema geben. Sehr erkenntnisreich ist es auch, wenn Teilnehmer aus ihren Betrieben erzählen oder von Erlebtem berichten. Das ist eine gute Grundlage, um anhand von Beispielen Lösungsansätze zu zeigen und schafft ein gewisses Vertrauen untereinander. Oft haben Seminarteilnehmer Angst, sie müssten ein „Seelenstriptease “ machen, also ihre eigene Lebensgeschichte erzählen. Diese Angst ist unberechtigt, so etwas fordere ich nicht, so etwas geht nicht von jetzt auf gleich. Im Laufe der Woche wird dann doch persönlich Erlebtes erzählt, offen vor der Gruppe oder in Einzelgesprächen. Es geht darum, die Menschen zu stärken, dass sie diesen Beruf sehr lange ausüben können. Ich versuche sie in ihrer Individualität zu stärken und ihnen zu vermitteln: „Ich kann das“.
Bestatter übernehmen immer mehr die Rolle des Seelsorgers
Auf die Frage, warum junge Menschen sich den Beruf der Bestattungsfachkraft ausgesucht haben, bekomme ich meistens die Antwort „Ich möchte für Menschen da sein, ihnen hilfreich zur Seite stehen. Der Beruf ist vielschichtig und man hat es mit den unterschiedlichsten Charakteren zu tun.“
Oft sind es auch Menschen, die schon lange einen Beruf ausgeübt haben und sich verändern möchten. Dies erfolgt oft im Rahmen einer Umschulung. Die Alterspanne der Auszubildenden reicht von 18 – 55 Jahre. Die Beratung und Betreuung Angehöriger erfordert besonderes Fingerspitzengefühl. Das Thema Suizid stellt nochmal eine besondere Herausforderung dar. Auszubildende müssen lernen zwischen „meiner“ Geschichte und „deiner“ Geschichte zu unterscheiden. Denn oftmals schämen sich Familien, dass gerade so etwas bei ihnen passieren muss. Tiefe Schuldgefühle, etwas übersehen oder etwas falsch gemacht zu haben, kommen hinzu. Die Angehörigen befinden sich in einem extremen Gefühlschaos. Auf der einen Seite vermissen sie den Menschen, auf der anderen Seite sind sie wütend, dass er/sie ihnen das angetan hat. Gerade Eltern eines jungen Suizidanten fühlen sich als Opfer und Täter. Sie müssen erkennen, dass es nicht in ihrer Macht war, ihrem Kind zu vermitteln, dass das Leben lebenswert ist.
Um diese ambivalenten Gefühle aufzufangen, ist es hilfreich, dem Angehörigen verständlich zu machen, dass er/sie nicht seine Lieben verlassen wollte, sondern sich selbst. Und auch die Botschaft, dass er/sie zum Zeitpunkt des Suizides nicht an andere denken konnte, kann helfen. Oftmals ist das Ritual des Abschiednehmens nicht mehr möglich. Gerade bei Suizid (wie auch bei anderen plötzlichen Trauersituationen) wäre dieser Abschied gerade wichtig.
Greifen heißt Begreifen
Wir bemühen uns, in der Praxis einen Abschied zu ermöglichen. Oft reicht eine Hand, damit die Angehörigen erkennen können, dass es wirklich „ihr“ Verstorbener ist. Eine weitere Hilfestellung zur Trauerarbeit ist das kreative Mitgestalten, die Urne oder den Sarg zu bemalen. Das stärkt die Zusammengehörigkeit und während dieses Tuns finden intensive Gespräche über den Verstorbenen oder die eigenen Gefühle statt. Das Fertigen einer Diashow, von Kränzen, das Auswählen der Musikstücke, das Einbringen persönlicher Gegenstände in die Dekoration macht die Feier persönlicher. Hier sind wir Bestatter und Trauerbegleiter nur Impulsgeber. Auszubildende sollten Angehörige von Suizidanten erst dann beraten, wenn sie selbst bereits ausreichende Erfahrungen mit verstorbenen Angehörigen erlebt und verarbeitet haben, beispielsweise deren Großmutter im Pflegeheim verstorben ist. Besonders erschwerend kommt hinzu, dass der beratende Auszubildende oft kaum älter ist, als der Verstorbene. In der Akademie versuche ich darüber hinaus, die Menschen zu sensibilisieren, in ihrem Umfeld und Freundeskreis genau hinzuschauen, ob sich jemand zurückzieht, sich anders verhält. Denn laut Statistik sind 80 % der Suizide angekündigt.
Wir können Suizide nicht grundsätzlich verhindern. Aber wir können anfangen, den Menschen wieder zuzuhören, damit eventuelle Suizidversuche – die als Hilfeschrei und Kommunikationsversuch zu verstehen sind – nicht im Suizid enden.Mitarbeiter im Bestattungsgewerbe, und Auszubildende ganz besonders, sollten immer die Möglichkeit haben, ansprechen zu dürfen, was sie gerade belastet – im Kreis der Kollegen oder durch Hilfe von außen. Das ist keinesfalls eine Schwäche, ganz im Gegenteil: Denn so achtsam wir mit Angehörigen umgehen, sollten wir auch mit uns selbst umgehen. Nur so können wir weiterhin eine Stütze für Hinterbliebene sein.